1 M Ü SSIGER LESER ! Ohne Schwur magst Du mir glauben, dass ich w ü nschte, er selbst k ö nnte seine Abenteuer beschreiben, er, von dem ich Dir erz ä hlen will, vielmehr an dessen statt ich zu berichten habe, und dann und wann wird es Dir wohl gar schwerfallen, uns beide zu unterscheiden, was Dir, mag es auch verwirren, viel innere Freiheit beim Lesen l ä sst – wie es Dir beliebt, sollst Du bald den Verfasser, bald den Helden vor Dir sehen, und nicht nur darum, weil wir, Verfasser und Held, zur selben Zeit in demselben Land, in derselben Stadt und in demselben Milieu gelebt haben, sondern auch, weil (und dem messe ich entschiedene Bedeutung bei) das Schicksal mich zu seinem Komplizen gemacht hat, weil ich Freud und Leid mit ihm geteilt habe, sein Vertrauter gewesen bin, nur eben, dass er im Unterschied zu mir (zu uns) – schon als Awelum geboren wurde, indessen wir, seine N ä chsten, erst noch awelumisieren.
Was den Namen » Awelum « angeht, so ist dies ein sumerisches Wort und bedeutet » vollberechtigter freier B ü rger « . Die einzige Quelle allerdings, die solche Herkunft des Wortes angibt, ist ein altes Heft von mir. Und auch ich w ü sste kaum noch zu sagen, weshalb ich das Wort einstmals von irgendwo herausgeschrieben (so es wirklich ein sumerisches ist) oder es mir ausgedacht habe (sollte es wirklich von mir erfunden sein). Die Hauptsache ist, dass die fragw ü rdige Herkunft an des Wortes Bedeutung nichts ä ndert – es meint, was es meint, und bedeutet das, was ihm der gro ß e Sumerer oder auch des gro ß en Sumerers kleiner Nachfahre (also ich!) seinerzeit als Sinn beigegeben hat. Eine andere Frage mag sein, inwieweit des Wortes Sinn heute verst ä ndlich ist oder, in unserer Zeitungssprache ausgedr ü ckt: inwieweit es aktuell ist und den Anforderungen des modernen Lebens entspricht ... Nachdr ü cklich aber erkl ä re ich, dass Awelum sein Leben lang auf jegliche Weise versucht hat, eben ein vollberechtigter freier B ü rger zu sein – und sei es nur eines lediglich in seiner Vorstellung existierenden Landes. Das aber ist bekanntlich gar nicht leicht getan, und auch er h ä tte es schwerlich vermocht (falls er es denn vermocht hat), h ä tte er nur einen einzigen Tag ohne Liebe gelebt. Allein die Liebe schenkte ihm das Gef ü hl von Freiheit und Vollberechtigung, und so k ä mpfte er selbstaufopfernd und unentwegt, wenn man so will, ohne Sinn und ohne Erfolg f ü r die Bewahrung dessen, was wir noch immer Liebe nennen und was das irdische Dasein des Menschen zum Leben macht, so sie denn nicht zum allgemeinen, mehr noch, pflichtgem ä ß en Anspruch verk ü mmert, sondern grunds ä tzlich Bestreben und Begehren, Traum und Leidenschaft des auf ganz eigene Weise tollen Individuums bleibt. Winzige, kl ä gliche Kr ü mchen eines solchen Verlangens stecken wohl in unser aller Erinnerung, in unser aller Herzenswinkel, wie Schrotk ö rner in den Muskeln und Gelenken des Wildbrets, und sind somit fast nicht existent.
Nicht existent, schreibe ich und wei ß auch noch gar nicht, wie ich denn dieses » Nichtexistente « in Worten ü bermitteln soll. Es w ä re dies dasselbe, als wollte ich dem Wind eine Krone aus d ü rrem Laub aufs Haupt setzen (wozu ich freilich wissen m ü sste, wo der Wind sein Haupt hat und wo seine F ü ß e, wo Anfang und wo Ende). So wird denn, M Ü SSIGER LESER, dieser Brief weder eine anregende